Politik

Ich muss doch wieder besser werden, dass ich rauskomme und mitarbeiten kann

Erinnerungen an Magda Thürey


(Quelle: Mario Grass)
Magda und Paul Thürey
(Quelle: Gedenkstätte Ernst Thälmann)
GDN - Magda Thürey (1899 - 1945) war eine deutsche Kommunistin, Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus und eine mutige Frau, die ungeachtet aller Gefahren und Schicksalsschlägen an ihren Überzeugungen festhielt.
“Der Grindelberg brannte auf beiden Straßenseiten“, erinnert sich der Hamburger Rolf Arnold (*1932), der als Kind die verheerenden Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges auf Hamburg er- und überlebt hat. Die einst attraktive Einkaufsstraße mit ihrer großbürgerlichen Bebauung, von der Rolf Arnold redet, war ebenso zerstört wie der gesamte Stadtteil Eimsbüttel, der innerhalb weniger Stunden nahezu dem Erdboden gleich gemacht wurde. Am darauffolgenden Tag verdunkelten dicke, schwarze Rauchwolken den Himmel und ließen es auch um die Mittagszeit nicht hell werden. Den Sonnenstrahlen des eigentlich wolkenlosen Sommertages gelang es nicht, die geschlossene Rauchdecke zu durchbrechen.
Grindelberg 33
Quelle: Mario Graß
Doch ein Haus, das noch heute aus den langweiligen Beton- und Backsteinbauten am Grindelberg hervorsticht, blieb verschont. In dem Stadthaus mit der Nummer 33 hatte 1899 Magda Thürey (geb. Bär) das Licht der Welt erblickt. Gemeinsam mit ihrer Schwester sowie einem Bruder wuchs sie in einer evangelischen Kapitänsfamilie auf. Ihrem Vater Hermann Karl Bär gelang es, in seiner Berufslaufbahn bis zum Schiffsoffizier aufzusteigen. Er verstarb jedoch bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, was zur Folge hatte, dass die Familie über die kommenden Jahrzehnte nur mit Müh und Not ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte.
Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium
Quelle: Mario Graß
Magda Thürey besuchte das Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium. Zu jener Zeit handelte es sich bei der 1897 gegründeten und noch heute bestehenden Schule um eine reine Mädchenschule, deren Namensgeberin Emilie Wüstenfeld (1817 - 1874), eine Frauenrechtlerin und Hamburger Philanthropin, sich für die weibliche Berufsbildung engagiert hat, um Frauen zu finanzieller Unabhängigkeit zu verhelfen.
Nach dem frühen Tod des Vaters und den damaligen dürftigen sozialen Absicherungen des Kaiserreiches trafen die Nöte des Ersten Weltkrieges Magdas Familie hart. Während ihrer Schulzeit wuchs in Magda Thürey der Wunsch, selbst als Lehrerin zu arbeiten, insbesondere um sozial benachteiligten Kindern, die von einer breiten schulischen Bildung fast ausgeschlossen waren, zu einer umfassenden Bildung zu verhelfen und somit begann sie nach ihrem erfolgreichen Schulabschluss eine Ausbildung im Lehrerseminar Hohe Weide.
Schule an der Lutterothstraße
Quelle: Mario Graß
Nach Abschluss ihrer Seminarausbildung wurde Magda Thürey 1919 als Lehrerin für Mädchen in der Schule an der Lutterothstraße eingestellt. Ihre damalige Kollegin Else Wrange erinnert sich: “Das Elend der Nachkriegszeit, der Hunger und die Armut, die Sorgen und Nöte der Inflationszeit, die Arbeitslosigkeit - das alles war für uns Ansporn, die Kinder umso liebevoller zu umsorgen.“ Frau Junius, eine langjährige Schülerin Magda Thüreys blickt zurück: “Der ganze Umgang mit ihr war irgendwie anders als mit anderen Lehrern. Man hatte bei ihr keine Angst. An der Schule gab es viele Kinder, die sitzengeblieben waren, aber Frau Thürey nahm jedes Kind mit rüber.“
Magda Thürey mit ihrer Schulklasse
Magda, die dem bestehenden autoritären Schulsystem sehr kritisch gegenüberstand, knüpfte zu jener Zeit Kontakte zu bohèmeartigen Kreisen und politisch linken Gleichgesinnten, arbeitete aktiv in der Hamburger Lehrergewerkschaft mit und trat 1925 der KPD bei. Sie nahm ihre pädagogische Arbeit sehr ernst, orientierte sich an den Erziehungsidealen Pestalozzis und nahm sich insbesondere Kinder an, die aus ärmeren Verhältnissen stammten.
Magda und Paul Thürey
Zu jener Zeit ereigneten sich zwei einschneidende Ereignisse in Magda Thüreys Leben. Sie erhielt die niederschmetternde Diagnose, an Multipler Sklerose erkrankt zu sein, doch erlebte sie zugleich privates Glück. Sie lernte Paul Carl Ludwig Thürey kennen und lieben. Paul Thürey hatte eine Lehre als Schlosser und Maschinenbauer in der Elektromotorenfabrik Conz in Bahrenfeld abgeschlossen, sich während seiner Lehre der radikalen Arbeiterbewegung angeschlossen und war 1920 in die KPD eingetreten. 1922 verlor er seine Beschäftigung und fand über Jahre lediglich kurzfristige Jobs bei verschiedenen Firmen, bis er 1930 bei seiner Lehrfirma endlich eine feste Anstellung erhielt.
Mit der Regierungsübernahme der NSDAP veränderte sich Magda Thüreys Leben grundlegend. Nicht nur setzten die regierenden Nationalsozialisten allen Gedanken an eine fortschrittliche Schulpolitik ein Ende, Magda Thürey wurde zudem 1933 ohne jeglichen finanziellen Ausgleich aus dem Schuldienst entlassen. Als Begründung hierzu diente das zuvor erlassene "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", dessen Paragraf 2 BeamtInnen eine Mitgliedschaft in der KPD untersagte.
Magda Thürey war zu diesem Zeitpunkt sicherlich bewusst, dass die politischen Entwicklungen ihr persönliches Leben erheblich erschweren werden, aber ihr Wille der verheerenden Entfaltung der nationalsozialistischen Ideologie die Stirn zu bieten, blieb ungebrochen. Nach der durch die regierenden Nationalsozialisten erfolgten Zerstörung ihrer beruflichen Existenz heiratete Magda am 27. Dezember 1933 Paul Thürey, der zu jener Zeit erneut seine Anstellung verloren hatte und somit für den Unterhalt des Paares ebenfalls nicht aufkommen konnte.
Emilienstraße 30
Quelle: Mario Graß
Um sich eine neue Existenz zu schaffen, richteten sich die beiden von ihrem Ersparten ein Seifengeschäft in der Osterstraße 100 ein. Das Geschäft mit dem Namen "Waschbär" - ein Wortspiel mit Magdas Geburtsnamen Bär - wurde schon bald in die nur wenige Schritte entfernte Emilienstraße 30 verlegt, wo es als geheimer Treffpunkt der mittlerweile verbotenen KPD sowie der Bästlein-Jacob-Abshagen Widerstandsgruppe diente.
Nach Jahren der Erwerbslosigkeit hatte Magdas Ehemann Paul 1939 erneut eine Anstellung in seiner einstigen Lehrfirma Conz-Elektromotoren-Werke, die mittlerweile zu einem Rüstungsbetrieb umstrukturiert worden war, gefunden. Dort fungierte er als Verbindungsmann zu der Widerstandsorganisation, gab seine Einschätzungen bezüglich der Stimmungslage der Arbeiterschaft weiter und bemühte sich, seine Kollegen über die Sinn- und Aussichtslosigkeit des Krieges zu informieren, während seine Frau den konspirativen Seifenladen führte, hinter dessen Verkaufsraum das Ehepaar Thürey ein kleines Appartement bewohnte.
Das einstige KZ Fuhlsbüttel
Quelle: Mario Graß
Trotz gründlicher Vorsichtsmaßnahmen wurden die Aktivitäten der Gruppe im Oktober 1942 durch die Staatspolizeileitstelle Hamburg aufgedeckt und mehr als 100 der etwa 200 Mitglieder, unter ihnen auch Paul Thürey, festgenommen. Wochenlang wurden diese unter Folter verhört, bevor sie in die Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel verlegt wurden. Etwa ein Jahr später wurde auch Magda Thürey durch das torbogenähnliche Eingangstor des rot-braunen Gebäudekomplexes in Norden Hamburgs geführt, als die Gestapo sie in “Schutzhaft“ nahm.
Gedenktafel am einstigen KZ-Fuhlsbüttel
Quelle: Mario Graß
Nahezu sämtliche während der nationalsozialistischen Herrschaft verhafteten Hamburger WiderstandskämpferInnen - im Verlaufe des Krieges kamen auch viele ausländische WiderstandskämpferInnen sowie ZwangsarbeiterInnen hinzu - wurden in dieser “Kola-Fu“ (Konzentrationslager Fuhlsbüttel) genannten Haftanstalt inhaftiert. Über 200 Gefangene starben an den Folgen der dortigen unmenschlichen Haftbedingungen.
Trotz ihrer schweren Krankheit wurde auch Magda Thürey während der Haft brutal und rücksichtslos behandelt. Sie erhielt nur wenig Nahrung und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich durch diese unmenschlichen Haftbedingungen zusehends. Am 3. Mai 1944 musste Magda einen weiteren furchtbaren Schicksalsschlag erdulden, als ihr Ehemann Paul im Zuge der "Hamburger Kommunistenprozesse" zum Tode verurteilt und am 26. Juni 1944, einundvierzigjährig, im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis 3 enthauptet wurde.
Magda Thüreys damalige Zellennachbarin Klara Dworznik erinnerte sich viele Jahre später, wie sie sich mittels Klopfzeichen heimlich mit Magda verständigt hat und berichtete davon, dass Mitgefangene gelegentlich Päckchen mit Nahrungsmitteln in deren Zelle geschmuggelt haben. “Sie sah so abgezehrt aus, das Gesicht eingefallen“¦“ Sie habe sich lange Zeit Sorgen um ihren Ehemann gemacht, aber “auch nach der Nachricht von der Hinrichtung blieb sie standhaft. (“¦) Magda Thürey war sehr tapfer, das muss ich sagen - wie sie mit ihrem Stock versuchte, wenn auch nur eine Runde, beim Hofgang mit rumzugehen. Am Hofgang war ihr so gelegen, denn das war der einzige Kontakt, den sie hatte.“
In der Tat wurde Magda Thüreys Kontakt zur Außenwelt während ihrer Gefangenschaft auf ein Minimum beschränkt. Nach der Befreiung durch die alliierten Truppen diktierte die mittlerweile nahezu bewegungsunfähige Frau ihrem Bruder: “In den 18 Monaten meiner Haft durfte ich keinen Besuch empfangen. Ich durfte nicht lesen und war fast dauernd in Einzelhaft. Seit Juni 1944 wurde kein Brief von mir herausgelassen.“ Für eine derart selbstständige und kontaktfreudige Frau muss diese Behandlung die Hölle gewesen sein. Gezielt wurde versucht, Magda Thüreys Körper und Geist gleichermaßen zu brechen.
Erst als sie nahezu vollkommen bewegungsunfähig war, wurde Magda Thürey in das Krankenhaus Langenhorn (heute Asklepios Klinik Nord) auf die Station für Nervenkranke verlegt, wo sie jedoch ebenfalls nicht die notwendige medizinische Versorgung erhielt. Nach der Befreiung Hamburgs durch die britischen Truppen nahm Magdas Bruder, Curt Bär, seine todkranke Schwester bei sich zu Hause auf, wo sie folgende Anklage zu Papier bringen ließ: “Meine Behandlung durch Helms (gemeint ist der Gestapo-Beamte Henry Helms, Anm. d. Autors) stellt einen wohlüberlegten Mordversuch dar. (“¦) Infolge des Entzugs jeder ärztlichen Hilfe verschlimmerten sich die Lähmungserscheinungen derartig, dass ich hilflos im Bett lag und nicht ohne Hilfe essen konnte.“
Am 17. Juli 1945 ist Magda Thürey an den Folgen der achtzehnmonatigen Gestapohaft verstorben. Der Brief eines Freundes ist erhalten geblieben, den dieser an eine ehemalige Schülerin gerichtet hat, um sie vom Tod ihrer einstigen Lehrerin in Kenntnis zu setzen und deren unbändigen Lebenswillen zu schildern. Obwohl sie “von den Hüften an völlig gelähmt [war], in den Armen keine Kraft und nur ganz wenig Bewegungsfähigkeit mehr, nur noch mit schwacher Stimme fragte sie nach allem, was draußen vorging, wollte sie alles wissen, was am Aufbau eines neuen, von der Nazipest gesäuberten Deutschlands gearbeitet wird. Immer wieder sagte sie: `Ich muss doch wieder besser werden, dass ich rauskomme und mitarbeiten kann!`“
Grab von Paul und Magda Thürey
Quelle: Mario Graß
Magda Thüreys Grab befindet sich auf dem “Ehrenfeld der Geschwister Scholl-Stiftung für Hamburger Widerstandskämpfer“ des Friedhofs Ohlsdorf. In der Emilienstraße 30, ihrem letzten Wohnhaus vor der Verhaftung, wurde von dem Künstler Gunter Demnig ein Stolperstein für sie verlegt - ein Projekt mit dem an das Schicksal von Menschen erinnert werden soll, die in der Zeit des Nationalsozialismus großes Leid ertragen mussten.
Stolpersteine für Paul & Magda Thürey
Quelle: Mario Graß

weitere Informationen: https://blog.mariograss.de/magdathuerey/

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.