Kultur

Punk- und Modeikone (“Trash and Vaudeville“) verstorben

“Jimmy Webb war das echte New York“


(Quelle: Mario Graß)
(Quelle: Mario Graß)
GDN - Im Alter von 62 Jahren verstarb am vergangenen Dienstag, nachdem er offenbar seit einigen Jahren gegen seine Krebserkrankung gekämpft hat, die extravagante New Yorker Punk- und Mode-Ikone Jimmy Webb.
Jimmy Webb, Manager und Verkäufer des legendären New Yorker Bekleidungsgeschäfts “Trash and Vaudeville“, der später seine eigene Boutique namens “I NEED MORE“ eröffnete, erlag laut seines Freundes Heart Montalbano im Alter von 62 Jahren einem Krebsleiden.
Webb zählte Rockgrößen wie Iggy Pop, die Guns N'Roses-Mitglieder Duff McKagan und Slash, Joan Jett und Blondies Debbie Harry zu seinen Kunden und Freunden.
1975 war er im Alter von 16 Jahren, mit einem Kissenbezug, in dem er seine Kleidung verstaute und ohne Geld von seinem Elternhaus in Wynantskill, einer Kleinstadt im Hinterland des Staates New York, fortgelaufen und hatte Zuflucht in der Punkszene von East Village gefunden.
“Ich konnte sehen, wohin das führen würde, und ich wollte mehr. Ich wollte tanzen und leben. Ich kannte keine Angst."
Über viele Jahre lebte er als Obdachloser im Tompkins Square Park, der mit seiner immensen Kriminalitätsrate, den chaotischen Obdachlosenlagern und der offenen Drogenszene zum Synonym für die wachsenden sozialen Probleme New Yorks geworden war. Auch Webb wurde heroinabhängig, verfiel körperlich und seelisch und traf den schmerzlichen Entschluss, die Stadt, die sein zu Hause geworden war, die aber auch zu seinem Verhängnis zu werden schien, nach fast 20 Jahren zu verlassen.
Doch nach erfolgreichem Drogenentzug kehrte er Ende der 1990er Jahre zurück. “Alle dachten, dass ich sterben würde“, erinnerte sich Webb, “doch nachdem ich meinen Körper und Geist wieder hergestellt hatte, wollte ich erneut in der Stadt leben, die ich liebte. “
Der Musikenthusiast Webb tanzte für sein Leben gerne und konnte Stunden damit zubringen, sich seine Outfits zusammenzustellen, bevor er durch die angesagten Clubs New Yorks zog. Wenn er es sich leisten konnte - er verdiente sich ein wenig Geld als Barkeeper in einer Schwulenbar - stöberte er gerne in den Auslagen der 1975 eröffneten Boutique “Trash and Vaudeville“.

Am schillernd-energetischen St. Marks Place gelegen, unweit solch legendärer Rock'n'Roll-Stätten wie dem Electric Circus, dem Fillmore East und vor allem dem Punk-Club CBGB, bot “Trash and Vaudeville“ Rockern, Mods, Punks, Goths und all jenen, die auf dem von Lou Reed besungenen “Walk on the wild Side“ unterwegs waren, eine reichliche Auswahl alternativer Mode.

Webb verfasste einen Brief an den Besitzer des Geschäfts, in dem er sich um eine Stelle als Verkäufer bewarb und seine Chance erhalten sollte. Der Rest ist East Village-Geschichte. Webb stieg vom Verkäufer zum Manager und Markenzeichen der Boutique auf, wurde als “amtierender Bürgermeister von St. Marks Place“ sowie "inoffizieller Ladenbesitzer des Punkrocks“ betitelt und stellte mit seinem untrüglichen Auge für den perfekten Stil Looks für Punkrocker und Popstars zusammen - von den Ramones bis zu Cyndi Lauper, Lady Gaga, Beyoncé und Justin Bieber.
Quelle: Mario Graß
Auch ich konnte vor vielen Jahren während meines ersten New York-Besuchs nicht an dem Geschäft mit dem markanten roten Neonschriftzug vorbeigehen und es hat sich zu einer lieben Gewohnheit entwickelt, bei jedem meiner Aufenthalte in der Stadt zumindest einen Stopp im “Trash and Vaudeville“ einzulegen, um Aufmerksamkeiten für die Daheimgebliebenen zu erstehen, aber gewiss auch um der Atmosphäre vergangener Zeiten nachzuspüren.
Dabei durfte ich wiederholt Zeuge von Jimmy Webbs untrüglichem Gespür für Looks werden - auch als ich gemeinsam mit einer Freundin das Geschäft betrat, er augenblicklich aufsprang, zielstrebig einen schwarzen Mantel mit Goldapplikationen von einem der überladenen Kleiderständer fischte und ihn ihr übergab mit den Worten: “Der ist perfekt für dich, Liebes!“. Es erscheint kaum erwähnenswert, dass er recht hatte.
Wie er treffend sagte: “Ich habe mich nie wirklich als Verkäufer von irgendetwas oder als jemand im Einzelhandel gesehen. Ich mache Träume wahr und ich liebe es, es zu tun! Ich finde einfach, was in den Menschen steckt, ich helfe dabei, es herauszubringen, und dann helfe ich ihnen, es anzuziehen!“
Als ich ihn vor einigen Jahren anlässlich eines Buchprojektes um ein paar Fotos bat, durfte ich seine Offenheit, Spontanität und ansteckende Begeisterungsfähigkeit erleben, zögerte er doch keine Sekunde, posierte bereitwillig vor meiner Kamera und zeigte sich äußerst interessiert und geradezu enthusiastisch bezüglich meiner Buchidee.
2017 eröffnete Jimmy Webb seine eigene, nach einem Song von Iggy Pop benannte, Boutique “I NEED MORE“, in der er bis zu seinem Tod arbeitete. Im vergangenen Februar inszenierte und erlebte er seinen letzten großen Auftritt, als er unmittelbar vor seinem Geschäft zwei Fliesenquadrate vom Boden entfernen ließ und Iggy Pop und Debbie Harry - Duff McKagan, David Johansen und Henry Rollins waren unter den Zuschauern - wie es von Hollywoodstars wohlbekannt ist, ihre Handabdrücke in den ausgelegten Gips drückten.
Nach Jimmy Webbs Tod würdigten zahlreiche Musiker den extravaganten New Yorker.
"Wir vermissen dich schon jetzt. Mach dir keine Sorgen, ich werde deinen Vokuhila stolz weiter rocken - in Erinnerung an dich und deine unglaubliche Seele. Der knallharteste Typ von allen und der süßeste", äußerte Miley Cyrus via Instagram und Debby Harry erläuterte gegenüber "New York Post": “Wir werden unseren unglaublichen Freund Jimmy Webb schmerzlich vermissen. Mit ihm verschwindet ein erstaunlicher New Yorker. Ich kann mich glücklich schätzen, ihn gekannt zu haben."
“Das ist herzzerreißend. Jimmy, du warst die Perle New Yorks. Immer voller positiver Energie. Du hast dein Leben in vollen Zügen gelebt“, schrieb Billie Joe Armstrong von Green Day, während McKagan mitteilte: “So ein goldiger Mensch und purer Punk-Rock'n'Roll. Jimmy hat eine unglaubliche Geschichte und meine Familie und ich fühlen uns geehrt, ein kleiner Teil dieser triumphalen Geschichte zu sein. Wir lieben dich Jimmy ... wir werden dich vermissen, Bruder. "
Quelle: Mario Graß
Der New Yorker Künstler Antony Zito, dessen expressives Porträt von Jimmy Webb seit vielen Jahren die Wand des jeweiligen Geschäftes (zunächst über Jahre des “Trash and Vaudeville“ - in jüngerer Vergangenheit des “I need more“) geziert hat, resümiert: “Die New Yorker East Side verabschiedet sich von einer wahren Legende. Jimmy Webb war das echte New York“¦“
Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.