Politik

Proteste gegen Öl-Pipeline in North Dakota eskalieren

“¦als wäre sie im Krieg gewesen


(Quelle: Vicke Kepling)
(Quelle: Vicke Kepling)
GDN - Im US-Bundesstaat North Dakota demonstrieren tausende Sioux-Angehörige gemeinsam mit Umweltschützern gegen den Bau einer Öl-Pipeline. Nachdem die Polizei vor einigen Tagen mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vorging, droht die Situation zunehmend zu eskalieren.
Quelle: Standing Rock Medic & Healer Council
Vor zwei Tagen legte sich eine dicke Schneeschicht über die Tipis und Zelte im Oceti Sakowin Camp in North Dakota. Der Winter bricht mit eisigen Temperaturen herein, doch die Bewohner haben sich seit Wochen auf diese Situation vorbereitet, ebenso wie auf weitere Szenarien, die in den nächsten Tagen auf sie zukommen könnten. Noch vor wenigen Monaten standen an diesem Ort lediglich drei Zelte, in denen Angehörige des Sioux-Stammes ausharrten, um sich dem Bau einer geplanten Öl-Pipeline in den Weg zu stellen, doch mittlerweile haben sich tausende diesem Protest angeschlossen und das Camp zu einer Stadt anwachsen lassen.
Quelle: Mike Slavik
Vicke Kepling
Quelle: Vicke Kepling
Die besagte Pipeline soll über eine knapp 1900 Kilometer lange Strecke Rohöl vom US-Bundesstaat North Dakota bis zu einem Erdöl-Terminal in Illinois befördern und wird dabei den Missouri unterqueren, aus dem der in Dakota beheimatete Stamm der Standing Rock Sioux sein Trinkwasser bezieht. Die amerikanischen Ureinwohner befürchten, dass die Gewässer durch Lecks in der Leitung verseucht werden könnten. Darüber hinaus wehren sich die Sioux gegen den Bau, da die Pipeline heilige Grabstätten sowie Gebetsorte ihrer Vorfahren zerstören würde.
(GDN berichtete: http://www.mariograss.germandailynews.com/bericht-80760/der-kampf-der-sioux-gegen-die-dakota-access-pipeline.html).
Lediglich einen Tag nach dem Thanks Giving-Feiertag, der bezeichnenderweise auf ein unter den Indianern bereits seit Jahrhunderten begangenes Fest zurückgeht, richtete der Chef des U.S. Army Corps of Engineers, John W. Hernderson, einen Brief an den Stammesvorsitzenden der Standing Rock Sioux, Dave Archambault II., in dem er die Demonstranten auffordert, das Camp bis zum 5.12. zu verlassen, da zu dem genannten Zeitpunkt die Räumung erfolgen würde. In dem Schreiben heißt es, dass “diese Entscheidung notwendig [sei], um die breite Öffentlichkeit vor den gewalttätigen Konfrontationen zwischen Demonstranten und Strafverfolgungsbehörden zu schützen, um Tod, Krankheit oder ernsthafte Verletzungen der Einwohner zu verhindern."
Dieses Ultimatum ignoriert entweder mit einer bemerkenswerten Ignoranz die aktuelle Situation oder es ist als eine extreme Umdeutung der selbigen zu verstehen, denn die Gewalt, die am vergangenen Sonntag eskaliert ist, wird in dem Brief mit keinem Wort erwähnt. Bei eisigen Temperaturen wurden über Stunden Wasserwerfer, Gummigeschosse und Tränengas auf Demonstranten abgefeuert - Szenen, die an die gewalttätigen Angriffe auf afro-amerikanische Bürgerrechtler in den 1950er und 1960er Jahren erinnerten. Nach Angaben der Organisatoren wurden 167 Menschen verletzt. Sieben von ihnen seien mit schweren Kopfverletzungen in Krankenhäuser eingeliefert worden.
Quelle: Vicke Kepling
Quelle: Vicke Kepling
Der verwundete Arm von Sophia Wilansky
Quelle: Standing Rock Medic & Healer Council
Die Aktivistin Sophia Wilansky (21) wurde von einem Geschoss am Arm getroffen und schwer verwundet. Aufgrund einer von der Polizei errichteten Blockade dauerte der Transport in das Krankenhaus in Minneapolis mehr als sechs Stunden, wo die drohende Armamputation im letzten Moment abgewendet werden konnte. Ihr Vater erinnert sich voller Entsetzen an die dramatischen Stunden: “Ihre Wunden sahen aus, als wäre sie im Krieg gewesen“¦ dabei hat sie nur versucht auf friedlichem Weg die Wasserversorgung der Menschen zu sichern“¦ Sie haben versucht sie umzubringen!“
Zweifellos werden die Sioux und ihre Unterstützer das Lager nicht zum 5.12. verlassen. Im Gegenteil - es werden mehr und mehr Menschen ihre Solidarität bezeugen und sich auf den Weg Richtung North Dakota machen, sodass zum Wochenende voraussichtlich weit mehr als 10.000 Menschen ihre Rechte als Bürger eines demokratischen Staates in Anspruch nehmen und die Räumung des Camps unmöglich machen werden.
Bereits jetzt sind ehemalige Soldaten, die einst in Auslandseinsätzen gekämpft haben, vor Ort, um die unbewaffneten Demonstranten vor Polizeiübergriffen zu schützen. Einer von ihnen, Zhooniya Ogitchida, berichtet von seinen Erfahrungen im Camp. “Ich bin uniformiert auf die Polizisten zugegangen. Ich schaute sie an, während sie hinter dem Stacheldraht in Position gingen und sagte zu ihnen: `Ich habe in zwei Kriegen gedient. Ich bin kein Demonstrant, sondern ein Beschützer. Ich bin hier um diese Menschen vor euch zu beschützen. Ich habe die Gummigeschosse gesehen. Ich habe die Wasserwerfer, die bei eisigen Temperaturen eingesetzt wurden, gesehen. Ich habe die Gewalt, die gegen US-Bürger angewendet wurde, gesehen.“
Ogitchida, der sich bei seinem Engagement auf seinen Schwur, die US-amerikanische Verfassung zu verteidigen, beruft, stellte gegenüber den Polizisten klar: “Wenn ihr weiter Gummigeschosse abfeuern wollt, richtet eure Kanonen auf mich“¦ auf diese Uniform“¦“ Einer der Polizisten habe daraufhin zu ihm gesagt, dass er seinen Einsatz und seine Anwesenheit begrüßen würde, woraufhin Ogitchida entgegnete: “Ich wünschte, ich könnte das Gleiche über euch sagen.“
Die Übergriffe der vergangenen Woche haben zahlreiche weitere Kriegsveteranen veranlasst, die Initiative zu ergreifen. Wie viele von ihnen sich tatsächlich auf den Weg nach Dakota machen werden ist noch ungewiss, doch nach Informationen, die German Daily News vorliegen, ist mit etwa 2000 Veteranen, die am Abend des 4.12. das Camp erreichen werden, um sich notfalls schützend zwischen die Demonstranten und die Polizei zu stellen, zu rechnen.
Den sich ausweitenden Protesten stellt sich Kelcy Warren, Geschäftsführer der ausführenden Pipelinegesellschaft Energy Transfer, mit einer aufschlussreichen Selbstgefälligkeit entgegen: “Sie werden unser Projekt nicht stoppen. Das zu glauben ist naiv“¦“ Diese Haltung ist den amerikanischen Ureinwohnern nur allzu vertraut. 1868 wurde ihnen im Vertrag von Laramie das Reservat in Dakota zugesprochen, doch als eine illegale Expedition Gold in den Black Hills entdeckte, drangen Goldsucher rechtswidrig in das Gebiet ein, woraufhin ein Konflikt entbrannte, an dessen Ende den Indianern die begehrte Gebirgskette rechtswidrig und willkürlich entzogen wurde.
Quelle: Vicke Kepling
Der Krieg der weißen Einwanderer gegen die Indianer spielt sich in unserer Vorstellung in Geschichtsbüchern ab, doch in Wirklichkeit hat er nie ein Ende gefunden. Die Antwort von David Archambault II., Häuptling der Standing Rock Sioux, auf das ihm zugestellte Ultimatum ließ nicht lange auf sich warten: “Obwohl die Nachricht traurig ist, ist es nicht überraschend angesichts der Erfahrungen, die wir in den letzten 500 Jahre machen mussten. Wir haben viel gelitten, aber wir haben noch Hoffnung, dass das Kapitel der gebrochenen Versprechungen an unser Volk geschlossen wird.“
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