Kultur

Dreiteiliger Tanzabend “100.000 Superstars“ im Staatstheater Kassel

Helden, Staub und galaktische Prozesse


(Quelle: N.Klinger)
GDN - Gleich drei Stücke des Kasseler Tanzensembles feierten am vergangenen Wochenende Premiere. Unter dem Titel “100 000 Superstars“ präsentierten drei Choreografen, auf ganz unterschiedliche Art und Weise, Formen und Positionen des zeitgenössischen Tanzes.
Derzeit ist Dieter Bohlen wieder einmal auf der Suche nach dem Superstar. Noch ist dieser nicht gefunden, doch in einigen Wochen wird er oder sie uns auf Zeitschriftencovern entgegenlächeln und mit einiger Sicherheit auch schnell wieder von diesen verschwinden. Da stellen sich Fragen... Wer oder was hat diesen Menschen zum Star gemacht? Was wird aus dem Star nach dem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit? Sind Stars außerhalb der Massenmedien denkbar? Sind wir letztlich alle Stars?
Drei Choreografen haben sich in Kassel mit derartigen Fragen auseinandergesetzt, dabei ganz unterschiedliche Perspektiven eingenommen und sich unterschiedlichster Mittel bedient. Genau darin liegt der besondere Reiz dieses spannenden Tanzabends.
Stardust
Den Anfang macht Helge Letonja, der dem Kasseler Publikum, aus einem Gastspiel (“step text project“) im vergangenen Jahr, bekannt ist. David Bowie hat einst den kometenhaften Aufstieg und Fall eines Rockstars stilprägend beschrieben. Ein Messias, der die Menschheit vor der kosmischen Katastrophe bewahren will und noch dazu meisterlich Gitarre spielen kann. Doch Ausschweifungen entzweien ihn von seiner Band, wie von seinen Fans: The Rise & Fall of Ziggy Stardust.
“Stardust“ hat Helge Letonja sein Stück betitelt, in dem er Phänomene der Selbstvermarktung, Selbstüberhöhung sowie das Machtverhältnis, das sich zwischen Star und Fans entwickelt, erforscht.
Zurück in Kassel: Rémi Benard
Quelle: N.Klinger
Stardust ... Astronomisch ist die Entstehung eines Sternes nicht ohne Sternenstaub erklärbar und umgekehrt ist das Aufkommen von Sternenstaub nicht ohne die Existenz von Sternen möglich. Daraus ergeben sich offene Fragen, nach gegenseitiger Abhängigkeit. Auch auf der Bühne geht es um Abhängigkeiten und um die Ausübung von Dominanz. In einem schönen Duett bewegen sich Martin Durov und Rémi Benard, der erfreulicherweise nach einer Pause wieder an das Staatstheater Kassel zurückgekehrt ist, wie marionettengleich, an den Fäden des jeweils anderen. Das Bühnenbild ist karg, aber wirkungsvoll. Mit Holzquadern erschaffen und erkämpfen sich die Akteure Räume oder nutzen sie, dem Wunsch nach Aufmerksamkeit folgend, als Podeste.
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Stardust “¦ Handelt es sich um eine glänzende, schimmernde, die Fantasie beflügelnde Substanz, die auf etwas viel Größeres verweist oder eben doch nur um Staub, jenes lästige Relikt, das, einmal aufgewirbelt, lange Zeit durch die Luft schwebt, bevor es sich auf unseren Möbeln niederlässt? In jedem Fall ist nicht alles Gold was glänzt und schon gar nicht, wenn es um Stars und vermeintliche Helden geht.
Das Publikum reagiert auf Letonjas Stück eher verhalten und ein wenig ratlos. Das mag, neben der etwas undankbaren Aufgabe, den Abend zu eröffnen, mit dem minimalistischen Bühnenbild sowie der Verwendung digitaler Klangcollagen zusammenhängen. Beides erleichtert nicht unbedingt den unmittelbaren Zugang, sagt aber nichts über die grundsätzliche Qualität des Stückes aus.
“¦the time after
Stella Zannou, die in Kassel bereits als Gasttänzerin in “bilderfluten“ auf der Bühne stand, kam mit ihrer Inszenierung dem Publikum schon eher entgegen.
Mit dem Heben des Bühnenvorhangs wird der Blick freigegeben auf ein eindrucksvolles und ansprechendes Bühnenbild. Superman, gehüllt in sein typisches Kostüm, schwebt von der Decke hinunter. Nach und nach tauchen weitere Supermänner und -frauen auf. Im Gegensatz zum ersten Stück erleben wir jetzt unumstrittene Helden. Wesen, die aufgrund ihrer außerordentlichen Fähigkeiten, in der Lage sind die Welt zu retten und von allen Problemen zu befreien. Oder doch nicht?
Superman in Netz von Spiderman: Ákos Dózsa
Quelle: N.Klinger
““¦ the time after“ “¦ Stella Zannou nimmt in ihrem Stück die Helden, am Tage nach Erfüllung ihrer Mission, unter die Lupe. Das Böse ist besiegt und Superman findet sich in einer fremden Welt aus Müll, und Spinnennetzen wieder. Superman in den Fängen von Spiderman? Superman im falschen Film? Aus den Lautsprecherboxen hört man flatternde Filmrollen und, in einer Coverversion, den Doorsklassiker “People are strange, when you´re a stranger“ ertönen. Bei genauem Hinsehen bemerkt man, dass das charakteristische rote “S“, auf dem blauen Superman-Shirt, einem “?“ gewichen ist. Ratlosigkeit macht sich breit. Ist der Held noch immer ein Held, nachdem die Mission erfüllt ist? Oder ist er reif, um eingemottet zu werden? Verpackungsmaterial läge ausreichen auf dem Bühnenboden bereit.
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
““¦ the time after“ “¦ Stella Zannou und die beteiligten Tänzer entführen die Zuschauer in “die Zeit danach“. Der Tag nach der Heldentat, fühlt sich kaum anders an, als der Tag nach der Apokalypse oder wie der große Kopfschmerz nach der ausschweifenden Siegesfeier. Supermans Heldenrolle ist gespielt und die Rückkehr in sein bürgerliches Leben scheint verbaut. “Ich glaube, dass die Chance für einen Superhelden ein ganz normales Leben zu führen, relativ gering ist“, sagt Stella Zannou in einem Interview.
Das eindrucksvolle Bühnenbild (verantwortlich bei allen drei Stücken: Steph Burger), die Beleuchtung, die abwechslungsreiche Musik, der Einsatz von Windmaschinen, mit deren Hilfe immer wieder ansprechende Bilder auf der Bühne entstehen, aber auch die selbstironische, manchmal augenzwinkernde, Darstellung, sorgen für großen Jubel und Bravo-Rufe im Opernhaus.
Supernova
Zum Abschluss des Abends zeigt Johannes Wieland, Tanzdirektor am Staatstheater Kassel, seine Sicht auf das Phänomen des “Superstars“ und rückt den Prozess des Erstrahlens und Verglühens eines Sternes (engl. Star) in das Blickfeld. “Supernova“ ist sein Stück betitelt, womit in der Physik das schnelle und helle Aufleuchten eines Sternes, am Ende seiner Lebenszeit, bezeichnet wird. Der Tänzer René Alejandro Mateus erläutert dem Publikum den Prozess. “Durch eine Explosion tritt ein unglaublich helles Aufleuchten ein “¦ Der Stern wird so hell wie eine ganze Galaxie.“ Ein gänzlich emotionsloser Prozess, voller Schönheit und Effizienz, der unbegreifliche Kräfte mit sich bringe, denen man mit Demut begegnen solle.
René Alejandro Mateus: “Demut wäre angebracht.“
Quelle: N.Klinger
Als der Tänzer das nächste Mal die Bühne betritt, trägt er einen Astronautenanzug - eine Berufsbekleidung, aber ebenso ein Sinnbild für Isolation. Wacklige, verrauschte Bilder von Neil Armstrong auf dem Mond tauchen vor dem inneren Auge auf. Über Funk wird noch vage Kontakt gehalten. Aber ist eine Verbindung mit der Welt, die eine Einflussnahme auf das jeweils andere Leben ermöglicht, tatsächlich noch vorhanden? Major Tom, jener fiktive Astronaut aus David Bowies Song “Space Oddity“, kommt in den Sinn. Nach dem Start seines Raumschiffes gerät er in Schwierigkeiten, verliert den Bodenkontakt und entschwebt unkontrolliert in den Weltraum. In seiner Raumkapsel eingezwängt, blickt er auf die Erde hinab: ““¦and there is nothing I can do.“
Nach der Vorstellung berichtet mir Rene Alejandro Mateus, spürbar selbst von der Wirkung seines Kostüms beeindruckt: “In dem Anzug habe ich mich extrem isoliert gefühlt.“
Ähnlich isoliert erklimmt auf der anderen Bühnenseite eine blonde Diva (Annamari Keskinen), die Lippen zum Vollplayback bewegend, die Showtreppe, die jedoch ins Nichts führt. Abrupt bricht der Gesang ab. Der Star ist verglüht, wird karikiert und bloßgestellt.
Über all dem Geschehen zieht ein schwebendes Spotlight, wie ein Satellit oder Komet, suchend seine Kreise.
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Wie so oft bei Choreografien von Johannes Wieland, lebt das Stück auch vom Wechselspiel zwischen ruhigen, konzentrierten sowie lauten, mitunter chaotischen, Momenten. Wie gekonnt er es versteht, mit derartigen Mitteln Spannung zu erzeugen, zeigt sich beispielsweise am Ende des Stückes, als auf eine Phase der Bewegungslosigkeit und Stille, die fulminante und mitreißende Schlussszene, unter Einbeziehung des gesamten Ensembles, erfolgt. Das ist großartig inszeniert und erntet zurecht viel Beifall.
Viel Applaus für alle Beteiligten
Am Ende des dreiteiligen Abends zeigt sich das Publikum im Opernhaus überaus zufrieden und bedenkt alle Beteiligten, vor und hinter den Kulissen, mit reichlich Applaus. Der Reiz dieses Abends liegt in erster Linie in der Gegenüberstellung von drei völlig unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema “Superstar“. Mehrteilige Abende mit Gastchoreografen - vergleichbare Produktionen hat es in der Vergangenheit bereits am Staatstheater Kassel gegeben - bereichern nicht nur die Arbeit der beteiligten Künstler, sondern sorgen auch für besondere Spannung beim Publikum.

weitere Informationen: https://www.staatstheater-kassel.de

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