Vermischtes

“RAF - Terroristische Gewalt“ im Deutschen Historischen Museum

Überblicksschau fehlt es an Tiefe


(Quelle: Haus der Geschichte Baden-Württemberg)
Fahndungsplakat, Mai 1972
(Quelle: Haus der Geschichte Baden-Württemberg)
GDN - Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt bis zum 8.März eine Ausstellung zur Geschichte der Roten Armee Fraktion. Von ihrer Gründung 1970 bis zur Auflösung 1998 werden die Ereignisse, die die Bundesrepublik erschüttert und verändert haben, leider etwas oberflächlich, veranschaulicht.
Ich blicke hoch zu dem Fahndungsplakat, das mit Reißzwecken an der grauen Wand des Postamtes meines Heimatdorfes befestigt ist. Fast zwanzig Köpfe von Männern und Frauen, davon einige mit wackeligen Kugelschreiberlinien durchgestrichen, in qualitativ mäßigen Schwarz-Weiß-Fotografien, sind darauf zu erkennen. Die Gesichter wecken meine Neugierde. Manche der abgebildeten Personen sehen nett aus, einige interessant, die meisten ungeheuer langweilig, sodass ich den Worten meiner Mutter, die mir erklärt, dass diese Männer und Frauen überall gesucht werden, weil sie sehr gefährlich seien, lediglich glauben kann, weil es eben die Worte meiner Mutter sind und die zweifelt man als Fünfjähriger nicht an.
Fast 40 Jahre liegt dies zurück, das Postamt gibt es schon lange nicht mehr, und ich blicke erneut auf jenes Plakat, das heute nicht mehr in Ämtern hängt, sondern in Museen - derzeit hinter einer Glascheibe im Historischen Museum in Berlin, wo eine Überblicksschau die Geschichte der RAF veranschaulicht. Das Exponat erinnert daran, wie der Staat damals bemüht war nicht nur mit allen Mitteln die Gesuchten zu finden, sondern darüber hinaus auch die Bürger mit einzubeziehen und eine Gemeinschaft zu erzeugen, die sich gegen die erfolgten Angriffe auf das System vereint.
Das Deutsche Historische Museum zeigt noch bis zum 8. März 2015 die Ausstellung “RAF - Terroristische Gewalt“ und versucht, mithilfe von etwa 220 ausgestellten Exponaten, darunter noch nie veröffentlichte Filmausschnitte, Fotografien und zeitgenössische Flugschriften, den Umgang von Staat und Gesellschaft mit der terroristischen Gewalt, die Beweggründe der Täter sowie die Folgen für die Opfer und deren Angehörige zu beleuchten.
Demonstration nach dem Dutschke-Attentat
Quelle: Deutsches Historisches Museum
Im ersten Teil der Ausstellung wird die zunehmende Radikalisierung der studentischen Protestbewegung in West-Berlin, mittels zeitgenössischer Filmaufnahmen, Flugblätter oder Beiträgen aus Zeitschriften, dargestellt. Nach einschneidenden Ereignissen, wie der Erschießung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 oder dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke am 11. April 1968, entschieden sich einige Wenige für einen bewaffneten Kampf gegen das ihrer Ansicht nach kapitalistisch-faschistische System. Die gewaltsame Gefängnisbefreiung von Andreas Baader im Mai 1970, veranschaulicht durch Fotografien und die bei der Tat verwendete Waffe, gilt als Gründungsakt der RAF.
Der zentrale Raum der Ausstellung widmet sich zunächst schwerpunktmäßig der terroristischen Gewalt und ist mit blutroten Wänden und Texttafeln, in Form von Splittern, auf denen die Anschläge und die Namen der Opfer verzeichnet sind, von der Designerin Ruth Schroers gestaltet worden.
"Wir wollen auch an die Opfer erinnern", erläuterte Alexander Koch, der Präsident des Museums und unterstrich damit die Bedeutung dieses Abschnittes.

Tatmotorrad des Buback-Anschlags, 1977
Quelle: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Trotz aller guten Absichten bietet die Ausstellung bis hierher wenig neue Erkenntnisse für Menschen, die sich bereits mit der Geschichte der RAF auseinandergesetzt haben. Dieser Eindruck ändert sich an der Vitrine, die an Johannes Thimme erinnert. In einem ausgestellten Schulaufsatz aus dem Jahre 1973 äußerte er Verständnis für eine erfolgte Kaufhausbrandstiftung. Später radikalisierte auch er sich und schloss sich dem Umfeld der RAF an, verbüßte mehrfach Gefängnisstrafen und wurde nach dem Attentat auf Siegfried Buback verhaftet, obwohl ihm eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden konnte. 1985 kam er bei einem versuchten Bombenanschlag ums Leben.
Sein Brief, den er in der Haft verfasst und an seinen Vater adressiert hat, zählt zu den interessantesten Exponaten der gesamten Ausstellung, da Thimmes Geschichte im Vergleich zu der von Protagonisten wie Andreas Baader, Ulrike Meinhof oder Gudrun Ensslin weitaus weniger bekannt und damit auch weniger vorurteilsbehaftet ist und es sich hier um einen persönlichen Blickwinkel, eine Primärquelle handelt und eben nicht um eine bereits interpretierte Überlieferung.
Pizzaofen von Jan-Carl Raspe aus einer Keksdose
Quelle: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Im hinteren Teil des Raumes ist ein dunkelgrauer Kubus platziert, in dessen Wände, hinter Glasscheiben, Ausstellungsstücke präsentiert werden, die im Zusammenhang mit der Inhaftierung der ersten Generation der RAF sowie dem Stammheim-Prozess stehen, darunter Fotos der Zellen, diverse Schriftstücke und Briefe, Akten in denen offenkundig Waffen in die Haftanstalt geschmuggelt wurden und Kuriositäten wie ein kleiner Pizzaofen, den sich Jan-Carl Raspe im Gefängnis aus zusammengeklaubten Utensilien selbst gebaut hat und dessen Anblick fast etwas rührend-poetisches hat. Am eindrucksvollsten sind aber die Tonbandaufnahmen, auf denen Redebeiträge von Andreas Baader und anderer Inhaftierter aus dem Stammheim-Prozess zu hören sind.
Insbesondere die fast gebrochene, verzweifelte Stimme Ulrike Meinhofs, die in einer Erklärung vage Andeutungen macht, dass sie frühere Positionen möglicherweise überdacht hat, geht nahe. Ihre Worte, mit denen sie sich vergeblich Gehör zu verschaffen versucht, klingen wie ein ohnmächtiger Hilferuf. Es scheint heute kaum begreiflich, dass niemand aufseiten der Ankläger, kein Richter und keiner der Psychologen, die dem Gericht sicherlich zur Verfügung standen, auf die Worte Meinhofs, die kurz darauf erhängt in ihrer Zelle aufgefunden wurde, reagiert hat.
Beachtenswert ist auch das Interview, das Günter Gaus im November 2001 mit dem damals noch inhaftierten und von der Haft wahrnehmbar gezeichneten Christian Klar führte. Es macht durchaus Sinn, dass dieses knapp einstündige Gespräch in voller Länge gezeigt wird, denn gerade die stillen Momente, wenn Christian Klar nach den passenden Worten sucht und man spürt, dass es ihn Kraft kostet, diese über die Lippen zu bringen, ergeben ein unverfälschtes Gesamtbild. Jedoch wäre es, angesichts der Länge des Beitrags, wünschenswert gewesen, diesen in einem abgetrennten Raum mit Sitzgelegenheiten zu zeigen.
Im Zentrum der Ausstellung steht die terroristische, zerstörerische Gewalt. Heikle Fragen oder streitbare Thesen sucht man dabei vergeblich. Gesellschaftliche Zusammenhänge bleiben ausgespart oder werden eher oberflächlich abgehandelt, sodass der Besucher am Ende der Ausstellung lediglich Einblicke in die Zeit erhalten hat, jedoch kein tieferes Verständnis darüber, was die RAF im Kern war.
Studentendemonstration vor dem Landgericht, Berlin
Quelle: Pressebild-Verlag Schirner
Manche Themen fehlen vollständig, bzw. werden äußerst vereinfacht dargestellt. So erfährt man recht wenig über die internationale Vernetzung der RAF. Der Versuch den Beweggründen, die zu der Gewaltbereitschaft geführt haben, nachzuspüren, bleibt verengt und die Auflösung der RAF erscheint unzulässig verkürzt und eindimensional erklärt. Weitestgehend unbeleuchtet bleiben die mitunter hysterischen Überreaktionen der Verfolgungsbehörden, der Justiz und der Politik und die damit verbundene, heute ungeheuer aktuelle Frage, wie sich Terror bekämpfen lässt, ohne demokratische, liberale Prinzipien aufzugeben, wird leider nicht aufgeworfen.
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